Interview Tobias Mann – „Der Damm ist gebrochen, und es ist gut so, dass man sich jetzt neu sortieren muss.“

Von Zuckerkonsum über Bienensterben bis zu Strafzöllen reichen die komödiantischen Themen von Tobias Mann und Christoph Sieber. Umfangreich recherchiert ringen die beiden achtmal im Jahr im ZDF um die richtige politische Haltung. Im TVinfo-Interview gewährt Tobias Mann einen Einblick in seine Sicht der politischen Dinge.

Tobias Mann

TVinfo: Herr Mann, können Sie über Ihre eigene Sendung lachen?

Tobias Mann: Ja, durchaus. Aber ich bin jemand, der Schwierigkeiten hat, gefasst zu bleiben in komödiantischen Situation. Was manchmal bei unseren Sketch-Drehs dafür sorgt, dass wir sehr viele Takes aufnehmen müssen. Jetzt hatte ich gerade wieder eine Szene, in der ich mit Christoph Sieber zusammen unter der Dusche stehe. Das war sehr, sehr lustig, und ich musste mich schwer zusammenreißen, damit ich nicht aus der Rolle falle.

TVinfo: Und lachen Sie eher über Politik oder über Unternehmen?

Tobias Mann: Ich lache über skurrile Situationen. Oder wenn sich mir die Skurrilität von Abläufen und Ereignissen plötzlich erschließt.

TVinfo: Wer ist skurriler? Die CSU oder Volkswagen?

Tobias Mann: Die CSU. Mit Abstand. Die Rolle, welche die CSU jetzt gerade innerhalb dieser neuen Konstellation spielt, ist ja schon an sich absurdes Theater. Wie man jetzt versucht, wenig subtil eine populistische Agenda durchzudrücken und dabei ein Störfeuer Richtung Schwesterpartei startet – das ist teilweise schon fast kafkaesk. Da kommt Volkswagen natürlich nicht ran. Wobei Volkswagen in der nach oben offenen Skurrilitätsskala ordentlich zulegt hat in den letzten Monaten.

TVinfo: Gäbe es Mann, Sieber! ohne Skurrilitäten wie CSU und Volkswagen? Oder müsste Mann, Sieber! eigentlich froh sein, dass man damit Stoff bekommt?

Tobias Mann: Oh, soweit würde ich nie gehen, zu sagen: Es ist gut, dass es die CSU gibt, damit wir Stoff für die Sendung haben. Nein, soweit geht es dann doch nicht. (lacht) Aber wir sind natürlich froh über solide Stofflieferanten wie die CSU. Es sagen auch immer alle: Ihr könnt Euch doch vor lauter Themen und Dingen, die ihr besprechen könnt nicht retten. Leider passiert aber oftmals ständig das Gleiche - dieselben Köpfe, dieselben Themen und das erschöpft sich dann irgendwann. Christoph und mich langweilen solche thematischen „Evergreens“ komödiantisch. Wir hatten vor nicht allzu langer Zeit beispielsweise eine lange Strecke zur Krise der SPD in der Sendung. Wie wir alle wissen, ist diese Krise alles andere als überwunden, aber jetzt schon wieder die Realsatire Sozialdemokratie in die Sendung hieven? Darum versuchen wir bei Mann, Sieber! auch abseitigere, aber relevante Themen zu suchen und uns mit denen komödiantisch auseinanderzusetzen. Ein satirisch freies Feld, bei dem man sagt: Da ist jetzt noch nicht so viel zu gemacht worden. Schauen wir mal, was wir da finden.

TVinfo: Ist Mann, Sieber! ein typisches Kind des öffentlich rechtlichen Rundfunks? Und steht es damit auch unter demselben Rechtfertigungsdruck?

Tobias Mann: Aus einigen Ecken heißt es ja immer wieder, „Rundfunkgebühren abschaffen“. Natürlich ist der öffentlich-rechtliche Rundfunk etwas, das alle bezahlen und selbstverständlich kann und muss man auch über das Thema diskutieren. Aber doch bitte nicht ganz so platt, wie das vielerorts getan wird. Dieses ständige Bashing á la „Dieses oder jenes sagt ihr nicht. Ihr seid systemkonforme Clowns. Pfui! Warum sagt Ihr nichts gegen die Regierung! Dürft Ihr nicht, was?“ Da entgegne ich: Aber das machen wir doch! Natürlich haben wir uns satirisch die große Koalition vorgenommen. Und werden sie uns auch wieder vornehmen. Aber es stehen auch immer wieder andere Parteien und Organisationen im Fokus. Wir machen vor niemandem Halt, der es verdient hat, eine Pointe zu werden. Und es ist bisher noch nie so gewesen, dass unser Drehbuch irgendwo in Chefetagen besprochen wurde und dann die Aufforderung kam: „Lasst diese Passage raus. Das dürft ihr nicht machen.“ Unsere Haltung, also die, die Christoph und ich vertreten, spiegelt sich zu 100 % in der Sendung wieder.

Mann, Sieber! - Der Zuckerpate

TVinfo: Es gibt gegen einen oder zwei Korrespondenten des Westdeutschen Rundfunks Vorwürfe sexueller Belästigung. Hat es sie überrascht, dass die #metoo-Debatte auch den öffentlich rechtlichen Rundfunk erreicht hat?

Tobias Mann: Nein.

TVinfo: Warum nicht?

Tobias Mann: Weil auch die Sender strukturell letztlich nicht anders sind, als alle anderen Unternehmen und Organisationen, in denen ähnliche Übergriffe stattgefunden haben. Ich glaube, dass - egal wo man hinschaut – in Lebens- und Arbeitsumfeldern verschiedenster Art Fehlentwicklungen stattgefunden und sich seit Jahrzehnten manifestiert haben. Warum soll da der öffentlich rechtliche Rundfunk eine Ausnahme sein? Letztlich ist es ein gesellschaftliches, ein soziales Problem, dass nun glücklicherweise endlich öffentlich diskutiert wird. Der Damm ist gebrochen, und es ist gut so, dass man sich jetzt da neu sortieren muss. Meine Hoffnung ist, dass die Debatte eben kein Strohfeuer bleibt, wie es so oft bei diesen großen Debatten der Fall ist. Erst wird ausführlich diskutiert, aber irgendwann ist irgendwie alles erzählt, alles gesagt und man kommt zur Erkenntnis: „Gut, dass wir drüber gesprochen haben!“. Und geht zur Tagesordnung über. Alles ist wie vorher. Das darf nicht passieren. Das darf übrigens in ganz vielen Themenbereichen eigentlich nicht geschehen und passiert dennoch leider viel zu oft. Daher, finde ich, muss man jetzt einfach Konsequenzen ziehen. So, wie es bisher gelaufen ist, darf es nicht mehr laufen. Man muss in Zukunft noch massiver dagegen vorgehen, wenn so etwas vorfällt. Und man muss vor allem auch weiterhin Menschen ermutigen, vorzutreten und derlei abscheuliches Verhalten öffentlich zu machen.

TVinfo: Mann, Sieber! sind ja auch zwei Männer... Es ist kein Einzelfall, dass gerade auch im ZDF nur Männer politische Comedy machen…

Tobias Mann: Es mangelt ja nicht an Satirikerinnen. Ich habe aber das Gefühl, dass sie oftmals nicht die Plattform bekommen, die sie verdient hätten. Und das ist, glaube ich, auch ein strukturelles Problem. Es ist nicht gut, dass es immer noch als exotisch angesehen wird, wenn eine Frau im Satirebereich tätig ist. Davon muss man weg. Das sollte zur Normalität gehören, und tatsächlich muss da ein Wandel stattfinden. Die Frauen waren da, sind da und werden da sein, und jetzt müssen sie endlich machen können.

TVinfo: Liegt es vielleicht auch daran, dass die Führungsriege der öffentlich rechtlichen Sender nicht so anders aussieht als die Führungsriege des aktuellen Innenministeriums?

Tobias Mann: Das ist durchaus möglich. Es ist natürlich etwas schräg, wenn ich das jetzt hier alles kritisiere. Schließlich stehen bei Mann, Sieber! zwei männliche Protagonisten vor der Kamera – und die Sendung trägt zu allem Überfluss auch noch „Mann“ im Titel. Aber zu unserer Ehrenrettung kann ich sagen, dass bei uns im Team aller Orten Frauen mit an vorderster Front stehen. Das klingt jetzt wie eine Rechtfertigung und ist es wahrscheinlich auch, aber ganz im Ernst: Das respektvolle Miteinander der Geschlechter ist bei der Produktion unserer Show allgegenwärtig, und höchstwahrscheinlich ist es auch genau dieser Aggregatszustand, der bei der inhaltlichen Auseinandersetzung mit Themen ganz natürlich die gebotene Sensibilität entstehen lässt.

Mann, Sieber! - Apokalypsen-Twist

TVinfo: Sind wir bei der Geschlechtergleichberechtigung besser oder schlechter als unsere Nachbarländer?

Tobias Mann: Das ist für mich schwer zu beantworten. Ich glaube, wir stehen nicht gut da, aber wir sind auch nicht der Abgrund. Letztlich hilft der Vergleich mit anderen nicht weiter. Der Fakt bleibt: Es gibt gesellschaftliche Defizite in diesem Bereich und die muss man angehen.

TVinfo: Ist Deutschland politisch im Vergleich zu Ungarn, Polen, den USA, Brexit-England noch die Insel der Seeligen?

Tobias Mann: Nein und wir sollten auf keinen Fall leichtfertig mit dem Finger auf andere zeigen. Die Strukturen und Prozesse, die sich in Personen wie Orban oder Trump zeigen, sind ja auch hier sichtbar. Da wird viel mit Angst und mit Ressentiments gearbeitet, vermeintlich einfache Wahrheiten werden den Menschen verkauft. Es gibt eine Rückbesinnung auf den Nationalstaat, was ich ganz furchtbar finde – gerade in Zeiten, in denen man eigentlich merken müsste, dass es gilt, global an einem Strang zu ziehen. Es müsste eine Gemeinsamkeit her: Wie können wir es miteinander schaffen, dass nicht alles den Bach runtergeht? Aber stattdessen spaltet man sich voneinander ab. „Wir wollen unser Süppchen alleine löffeln, unser Land zuerst.“ Diese Tendenz gibt es tragischerweise auch hier bei uns. Wir haben ja schon über die CSU gesprochen, die natürlich dieses Thema auch besetzt. Das manifestiert sich zum Beispiel im fast schon fetischartigen Hochhalten des Begriffs „Heimat“. Da frage ich mich immer: Was ist das? Jeder hat davon ein anderes Verständnis. Hier Definitionen festzulegen ist nicht zielführend und spaltet eher, als dass es verbindet.

TVinfo: Haben wir zuviel Dummheit in der Politik?

Tobias Mann: Viele in der Politik wissen ganz genau, welche Knöpfe sie drücken müssen. Es ist fast ein Übermaß an Schläue vorhanden. Ich sage bewusst nicht Intelligenz, sondern Schläue. Was für Trigger muss ich setzen, damit dieses oder jenes passiert. Man ist sich schon sehr bewusst, wie Medien funktionieren und wie dadurch Menschen beziehungsweise Wähler reagieren. Das wird gnadenlos ausgenutzt. Ich sehe das mit Sorge und wir versuchen, das in der Sendung immer wieder offen zu legen. Der Populismus 4.0 ist dieser Tage massiv sichtbar. Ein Seehofer sagt das, was er sagt, nicht aus einem Unwissen heraus, sondern er weiß schon ganz genau, was er da erzählt und warum. Ich erinnere mich an das Interview mit Claus Kleber, in dem er nach dem offiziellen Teil noch aus dem Nähkästchen geplaudert und „Das können Sie ruhig alles senden.“ gesagt hat. Das war 100% Kalkül. Sowas beobachtet man immer mehr. Auch Jens Spahn ist so einer – und natürlich auch etliche Politiker aus mutmaßlich „alternativen Parteien“. Darum sage ich immer: Vorsicht, wenn ihr euch über Trump auslasst! Das ist zwar durchaus berechtigt. Schaut euch aber diese Prozesse an, dieses Gehabe und dieses Zelebrieren von Politik in getwitterten 280 Zeichen - das wird hier genauso betrieben! Wir sind keine Insel der Glückseeligen. Wir sind jetzt an einem Scheideweg, und ich habe das Gefühl, man biegt falsch ab.

TVinfo: Nutzen sie WhatsApp?

Tobias Mann: Ja, aber ungern.

TVinfo: Navigieren sie mit Google Maps?

Tobias Mann: Nein. Aber ich nutze natürlich schon viele Dienste, bei denen es Dinge gibt, die zu kritisieren sind. Da ist immer die Frage: Wie nutzt du sie? D.h. eine gewisse Medienverantwortung muss jeder für sich selbst übernehmen. Es gibt einen schönen Spruch: Wenn der Dienst kostenlos ist, bist Du das Produkt. Und das muss man sich immer wieder klar machen. Auch wenn es um Facebook geht. Der ganze Datenskandal hat mich nicht sonderlich überrascht. Ich nutze WhatsApp, weil die sogenannten Netzwerkeffekte natürlich immer da sind. Wenn ich WhatsApp nicht installiert habe, bin ich aus vielen Lebensbereichen ausgeschlossen. Beispielsweise gibt es unter den Eltern der Klasse meines Sohnes eine WhatsApp-Gruppe, um sich kurzfristig auszutauschen. Habe ich kein WhatsApp, bin ich da raus.

TVinfo: Warum haben Sie keine Threema-Gruppe?

Tobias Mann: Ich habe auch Threema, aber das Problem ist, dass du erstmal Leute dahin bewegen musst. Lange hatte ich als WhatsApp-Status: Lass uns bei Threema treffen! Es kam aber kaum jemand. Also war und ist Threema ein ziemlich einsamer Ort. Ich glaube, es muss noch mehr in die Köpfe rein, dass manche Dienste genauso gut funktionieren, letztlich aber besser sind als die, die alle nutzen. Der Mensch ist natürlich ein bequemes Wesen. Ich spreche hier mit einer gewissen Doppelmoral, ich habe ja zum Beispiel auch eine öffentliche Facebook-Seite. Aber man muss überlegen, für was nutze ich es? Wie nutze ich es? Und an welchen Stellen kann ich Alternativen nutzen? Zum Beispiel Threema – Super-Dienst, den aber noch viel zu wenig Leute kennen.

Mann, Sieber! - Das Standgericht

TVinfo: Jetzt kommen zum Schluss noch unsere traditionellen TVinfo-Vervollständigungssätze :
1. Wenn ich mir eine Sendung aussuchen dürfte, die ich moderiere dann wäre es…

Tobias Mann: Also ich finde Genial daneben wirklich genial. Aber ich möchte Hugo Egon Balder natürlich den Job nicht streitig machen. Ich finde, dass er das phänomenal gut macht. Als Co-Moderator, gerne auch stumm nur daneben sitzen und dabei sein, würde mir in diesem Fall schon reichen.

TVinfo: 2. Wenn ich wiedergeboren werden, dann …

Tobias Mann: …als Erdmännchen fernab jeglicher Zivilisation.

TVinfo: 3. Wenn es die Menschheit in 100 Jahren noch gibt, dann …

Tobias Mann: …haben wir Menschen hoffentlich eine Möglichkeit gefunden, gut miteinander klar zu kommen und gibt es mindestens 40 Satiresendungen mit weiblichen Protagonisten.

TVinfo: Herr Mann, wir danken Ihnen für das Gespräch.

Das Gespräch führte Markus Pins am 12.04.2018 in Köln.

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