Interview Till Reiners – „Leute verstehen manchmal nicht, dass mein Programm politisch ist, obwohl es Stand-up Comedy ist.“

Till Reiners macht bei 3sat Prime Time Comedy im Fernsehen. Ab Oktober steht er mit seinem neuen Bühnenprogramm „Mein Italien“ auf der Bühne und sendet zwischendurch fleißig Podcasts. Mit TVinfo bespricht er, unter welchen Bedingungen er als Bundeskanzler zur Verfügung stünde.

Till Reiners

TVinfo: Wie konnte es passieren, dass so ein lieber, netter Junge vom linken Niederrhein so eine spitze Zunge entwickelt hat?

Till Reiners: Ich bin gar kein lieber netter Junge. Ich sehe nur so aus. Und da muss ich jetzt mit umgehen. Das ist aber, glaube ich, jetzt mittlerweile ein Vorteil. Wenn ich etwas sage, dann ist das etwas anderes, als wenn jemand schon ein böses Gesicht hat.

TVinfo: Eine Kollegin von dir hat einmal gesagt: Der traut sich das nur, weil er aussieht wie ein FDP-Wähler. Stimmt das?

Till Reiners: Nein. Also ich kann ja nichts für mein Gesicht und Aussehen. Nur für mein Denken. Und das passt absurderweise manchmal nicht zusammen.

TVinfo: Wie politisch bist du?

Till Reiners: Ich bin politisch aufgewachsen. Ich habe Politik studiert. Das beschäftigt mich sehr. Da würde ich sagen: auf der Skala von 1 bis 10 acht.

TVinfo: Du hast mal eine eigene Partei gegründet. Wie ist es dazu gekommen?

Till Reiners: Das war ein Experiment für Funk, das öffentlich-rechtliche Jugendformat. Ich wollte da einfach so ein bisschen zeigen: Was interessiert mich an Politik? Sind die eigentlich so frustriert von Politik, wie man manchmal so hört? Und dann hat sich rausgestellt: Nein. Und ich wollte auch zeigen: Wie macht man so Wahlkampf, wie funktioniert das alles?

TVinfo: Wie ernst hattest du die Parteigründung gemeint?

Till Reiners: Also ich wollte da jetzt nicht großartig parteipolitisch Karriere machen. Sondern ich wollte eher das erst einmal ausprobieren, um zu gucken, wie würde das funktionieren? Ich habe aber schon gemerkt, dass Leute sich da sehr für interessieren. Ich glaube, dass junge Leute sich mehr dafür interessieren, eine ganz konkrete Partei zu haben, die ganz konkrete Sachen macht, und nicht so einen Gemischtwarenladen, wie es Parteien nun mal sind. Ich sage es jetzt mal wertungsfrei, ich meine das gar nicht so negativ. Wie bei Fridays for Future, zum Beispiel. „Es geht um Klimaschutz? Da kann ich mich engagieren, das finde ich super.“

TVinfo: Braucht Politik mehr Comedy? Oder braucht Comedy mehr Politik?

Till Reiners: Politik auf keinen Fall mehr Comedy. Diese Versuche von Leuten in der Politik, auch Humor zu machen, sind schon manchmal ein bisschen frech. Wir machen das doch arbeitsteilig: Ihr macht weiter Politik, und wir machen Comedy. Es geht auch oft nach hinten los: Also diese ganzen Karnevalsreden. Ich würde mich auch nicht hinstellen und jetzt eine Haushaltsrede halten. Aber bei Humor denkt sich jeder: Ja gut, das machen wir jetzt auch noch mal.

TVinfo: In der Ukraine ist ein Comedian Präsident geworden. Stehst du als Bundeskanzler bereit, falls es nötig wird?

Till Reiners: Ich würde es machen, aber ich würde dann immer nur sagen: halbtags. Mir ist es viel zu viel Stress. Da gibt es ja sehr viele Sachen, die man so machen muss. Man muss da immer Leute besuchen, Vereine besuchen. Man muss Volksnähe demonstrieren. Und das würde ich gerne nicht machen. Ich würde sagen, wir können gerne mal eine Bürgersprechstunde machen. Es ist gar kein Problem, dass mich die Leute besuchen. Einmal die Woche eine Stunde fänd ich okay. Sonst Kernarbeitszeit ist bei mir von zehn bis fünfzehn Uhr.

TVinfo: In der Politik gibt es manchmal Streit. Unter Comedians auch?

Till Reiners: Ich habe das Gefühl, dass es mittlerweile eine Diskrepanz gibt. Vielleicht ist das eine Altersfrage. Es gibt Leute, die jetzt nicht mehr so ganz mit der Entwicklung mitkommen, die es gerade so gibt in Deutschland. Und das trifft dann einen Nerv bei Leuten, die offenbar auch nicht mitkommen. Dann reicht es irgendwann, dass man nicht mehr ganz so viel Humor macht, sondern das sagt, was manche immer schon mal dachten. Und da gibt es Leute, die denken: Endlich sagts mal einer.

TVinfo: Im Fernsehen gibt es ein großes Spektrum an Formaten und Meinungen für alle Altersgruppen…

Till Reiners: Grundsätzlich sollte es so sein, dass man sagen darf, was man will. Das finde ich erst mal absolut wichtig. Und das finde ich auch immer wichtig in der Kunst. Aber mich interessiert es dann weniger, wenn ich merke: Das sind jetzt nur noch Positionen. Wenn Leute nur noch erzählen, wofür sie so stehen. Dabei sollten jetzt die Witze kommen!

TVinfo: Ist Comedy die Rettung des politischen Kabaretts?

Till Reiners: Es ist anders. Aber Leute verstehen auch manchmal nicht, dass mein Programm politisch ist, obwohl es Stand-up Comedy ist. Die Verpackung ist bunt und die glitzert. Ich bin nicht unter dem Zwang, immer krampfhaft politisch sein zu müssen. Aber ich rede über Klimawandel, über toxische Männlichkeit, über Meinungsfreiheit. Aber auch über Handy-Klapphülle und das macht mir Spaß, dass das so alles sein darf. Man muss sich da nicht limitieren. Die Verpackung ist eben so, dass Leute manchmal gar nicht so merken, dass es nicht unpolitisch ist.

TVinfo: Wenn du dir ein TV-Format für dich wünschen dürftest, was wäre das?

Till Reiners: Ein Format, wo man mit Stand-up relativ komplexe Sachen einfach runterbrechen und möglichst leicht machen kann. Und dann mal schauen kann, wie das so ist. Ich arbeite auch gerne im Team. Es muss gar nicht so eine One-Man-Show sein, wo nur ich auf der Bühne bin. Da dürfen auch gerne andere mit auf der Bühne stehen. Und ich schreibe auch gerne mit anderen zusammen Texte. Ich hab das zum Beispiel bei der Anstalt gemacht, und ich mache das auch regelmäßig für meine Happy Hour.

TVinfo: Und ein Wunsch an das Fernsehen im Allgemeinen?

Till Reiners: Dass Leute, die wirklich was entscheiden dürfen, alle zwei Jahre einen Fehler machen müssen. Also, dass sie wirklich angeleitet sind, einen Fehler zu machen. Das würde ihnen helfen, ein bisschen mutiger zu werden. Dann können sie Projekte machen, von denen sie wissen, das wird wahrscheinlich ein Fehler. Aber das mache ich jetzt, um den Fehler zu machen. Ich habe das Gefühl, vor lauter Fehlervermeidung entsteht manchmal ganz und gar nichts Neues.

TVinfo: Welche politische Rolle haben die Anstalt und andere?

Till Reiners: Die Rolle ist es manchmal, Themen zu setzen, die sonst ein bisschen untergehen. Über Humor hat man einfach so ein Vehikel, das irgendwie mehr Leute interessiert. Es ist einfach mittlerweile ein sehr großer Kampf um Aufmerksamkeit geworden. Es gibt nicht mehr so richtig ein Leitmedium, das sowieso alle lesen oder gucken. Man muss schaffen, auf sich aufmerksam zu machen und ein Thema so gut verpacken, dass das auch wirklich Leute interessiert.

TVinfo: Wie wichtig sind für dich die sozialen Medien?

Till Reiners: Extrem wichtig, weil ich da wirklich mein eigener Sender geworden bin. Und wenn es um Ticketverkäufe geht, ist unerlässlich, dass man da auch stark aufgestellt ist und aufgestellt sein will. Wenn man soziale Medien gut nutzen kann, dann sind sie auch ein Teil von Stand-up Comedy.

TVinfo: Wie sehr bist du von Algorithmen abhängig, die dich vorschlagen müssen, damit du Reichweite erzielst?

Till Reiners: Ich fühle mich nicht unter Produktionsdruck. Ich glaube, man kann in so einen Strudel geraten. Aber ich habe zum Glück noch andere Baustellen, deswegen bin ich da nie so 100 % fixiert. Wenn ich jetzt jeden Tag was posten müsste, wenn ich jeden Tag was machen müsste, dann würde mich das sehr stressen. Aber so ist es nicht.

TVinfo: Den Wunsch an die Fernsehlandschaft hatten wir schon. Was wäre der Wunsch an das politische System?

Till Reiners: Dass entweder Lobbyismus aufhört oder dass es eine andere Form auch für Interessen gibt, die bisher nicht so gehört werden. In Deutschland haben wir eine große Bildungs- und Vermögensungleichheit, die eigentlich allen schadet und die nur 10 % aller Menschen nützt. Und wenn man dann in einer Demokratie lebt, muss man sich fragen: Wie kann denn so ein System aufrechterhalten werden? Wie können sich denn so Strukturen so lange halten, wenn wir doch in einer Demokratie leben und 90 % eigentlich dagegen sein müssten? Ich glaube, das liegt daran, dass die Organisation von Interessen unterschiedlich stark ausgeprägt ist. Wenn Leute nicht so gut organisiert sind, dann passiert das halt.

TVinfo: Herzlichen Dank für das Gespräch!

Das Gespräch führte Markus Pins am 25.03.2023 in Köln.

In seinem Podcast „Endlich normale Leute“ erzählt Till Reiners von der Interview-Aufzeichnung: #58 Die Telefonbuch-Methode

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